Marc Vogel, Suchtexperte und Chefarzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK), spricht beim Podcast Unisonar über den Umgang mit Süchtigen und Therapieformen bei Substanzabhängigkeit.
Darf eine alkoholkranke Person nie wieder einen Tropfen Wein trinken? Wie therapiert man eine suchtkranke Person? Und welche Droge macht Fachpersonen die grössten Sorgen? Darüber spricht Marc Vogel, der Suchtexperte und Chefarzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK), bei Unisonar.
00:00:01:02 - 00:00:29:23
Marc Vogel
Die meisten Menschen, die wir behandeln, sind alkoholabhängig. Das ist die Substanz, die auf die Gesamtbevölkerung gerechnet sicher am meisten Schaden macht. Abstinenz ist für uns nicht notwendigerweise immer das Ziel einer Behandlung, sondern das Ziel ist eigentlich, dass es den Menschen gut geht. In Sachen Raucherschutz ist die Schweiz Zweitletzter in der Welt hinter der Dominikanischen Republik. Das ist schon ein bisschen peinlich.
00:00:29:24 - 00:00:36:07
Marc Vogel
Ehrlich gesagt.
00:00:36:09 - 00:00:53:08
Catherine Weyer
Hallo und herzlich willkommen bei Unisonar, dem Wissens-Podcast der Universität Basel. Heute mit Marc Vogel, dem Chefarzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel. Wir reden darüber, wie Sucht entsteht und behandelt wird. Herzlich willkommen, Herr Vogel.
00:00:53:10 - 00:00:55:17
Marc Vogel
Danke für die Einladung.
00:00:55:19 - 00:01:09:24
Catherine Weyer
Mein Name ist Catherine Weyer. Bei Unisonar tauchen wir mit Expert*innen der Universität Basel auf den Grund ihrer wissenschaftlichen Forschung. In dieser Staffel sprechen wir über Drogen. Herr Vogel, ist jeder Mensch gleich gefährdet, süchtig zu werden?
00:01:10:01 - 00:01:42:04
Marc Vogel
Nein. Klare Antwort Nein. In der Psychiatrie ist alles immer multifaktoriell bedingt. Das heisst, wir haben ganz viele Einflussfaktoren, die das Risiko, abhängig zu werden, beeinflussen, die das Risiko steuern und vieles ist tatsächlich genetisch. Das ist so der grösste alleinstehende Risikofaktor, den wir haben, der je nach Substanz und oder Verhalten, was man anguckt, 30 bis 70 % des Risikos allein.
00:01:42:06 - 00:02:10:10
Marc Vogel
Aber auch das heisst natürlich nicht, wenn man eine genetische Vorbelastung hat, dass man zwingend abhängig werden muss, überhaupt nicht, sondern es gibt dann im Laufe des Lebens viele verschiedene Risikofaktoren, die noch dazukommen. Zum Beispiel in der Schwangerschaft schon Konsum der Mutter, dann kommen traumatische Kindheitserfahrungen, auch Vernachlässigung in der Kindheit und ähnliche Risikofaktoren dazu. Sozioökonomische Faktoren spielen eine Rolle.
00:02:10:10 - 00:02:40:00
Marc Vogel
Die Gesellschaft spielt eine Rolle, wie akzeptiert ist Konsum von bestimmten Substanzen in Gesellschaft, wie häufig ist Konsum in der Gesellschaft? Es ist klar Wir haben häufiger alkoholabhängige Menschen bei uns als zum Beispiel Menschen in streng islamischen Ländern. Also es kommen gesellschaftliche Faktoren dazu, es kommt die Peergroup dazu und es kommt natürlich nicht zuletzt auch irgendwann mal die persönliche Entscheidung dazu, die auch eine Rolle spielt.
00:02:40:00 - 00:02:47:05
Marc Vogel
Aber eben, wenn man jetzt so diese Gesamtfaktoren anguckt, dann doch nur eine untergeordnete Rolle.
00:02:47:07 - 00:02:53:23
Catherine Weyer
Aber diese Stigmatisierung, die es von der Sucht gibt, dass man sich einfach nicht so im Griff hat. Da würden Sie widersprechen.
00:02:54:00 - 00:03:27:09
Marc Vogel
Da würde ich absolut widersprechen. Natürlich ist die Entscheidungsfreiheit und die Kontrolle durch die Sucht irgendwann eingeschränkt. Aber es ist nicht von vornherein eine Charakterschwäche, wenn jemand abhängig wird, sondern im Gegenteil. Viele Menschen konsumieren, greifen zu Substanzen, um mit psychischen Problemen umzugehen. Das heisst, da sind wirklich andere psychische Probleme, die dem Konsum zugrunde liegen, der dann natürlich sein Eigenleben entwickelt und zu einem weiteren Problem wird, was oft auch noch schwerer ist als das ursprüngliche Problem.
00:03:27:11 - 00:03:37:24
Catherine Weyer
Wenn die Leute süchtig sind und das ändern möchten, dann kommen sie zu Ihnen. Wir hören jetzt ein Beispiel von einer Person und damit wir uns dann den weiteren Verlauf genauer ansehen können.
00:03:38:01 - 00:04:07:18
Einsprecher
Doro Winter befindet sich seit zwei Wochen bei den universitären psychiatrischen Kliniken in Behandlung. Die 44-jährige liess sich für eine stationäre Therapie einweisen, um ihren Alkoholkonsum zu verändern. Seit über 20 Jahren trinkt sie regelmässig viel Alkohol. In den letzten fünf Jahren waren es täglich mindestens zwei Flaschen Wein oder zwei Liter Bier. In der Therapie erzählt sie, dass sie eine schwierige Kindheit hinter sich hat und bereits früh in Kontakt mit Alkohol kam.
00:04:07:20 - 00:04:33:11
Sprecher 3
Neben dem Konsum mit Freunden habe sie immer mehr angefangen, Alkohol zu trinken, um sich nach der Arbeit entspannen zu können, weil sie immer wieder unter Schlafproblemen litt, fing sie gleichzeitig auch an, regelmässig Schlaftabletten zu nehmen, was manchmal dazu führte, dass sie Filmrisse hatte und sich an ganze Abende nicht mehr erinnern konnte. Für die Therapie entschied sie sich, nachdem ihre Ehe in die Brüche ging und ihr Mann aus der gemeinsamen Wohnung auszog.
00:04:33:13 - 00:04:41:10
Sprecher 3
Ab da habe sie die Kontrolle über ihren Alkoholkonsum vollends verloren und auch schon tagsüber angefangen zu trinken.
00:04:41:12 - 00:04:45:20
Catherine Weyer
Wenn Frau Winter jetzt zu Ihnen kommt, was sind die ersten Schritte?
00:04:45:22 - 00:05:09:17
Marc Vogel
Also zunächst mal muss man sagen, dass ganz typisch, dass Menschen sich entscheiden, in Therapie zu kommen, wenn von aussen Druck kommt oder wenn von aussen auch dann so die Probleme sichtbar werden. Entscheidende Sachen passieren, Trennung zum Beispiel oder der Partner droht mit Trennung oder ähnlichem. Oft ist es da natürlich schon so, dass die Abhängigkeitserkrankung schon da ist.
00:05:09:19 - 00:05:30:19
Marc Vogel
Und wir würden uns natürlich wünschen, dass Menschen auch früher kommen. Zum Beispiel wenn klar wird, dass man zum Entspannen immer ein Bier braucht, ein Bier trinkt. Das wäre so ein Warnzeichen, wenn Schlafprobleme auftreten, wären Warnzeichen. Also das wären so Dinge. Man wird sich grundsätzlich wünschen, dass Menschen so früh wie möglich in Behandlung kommen, und wir sehen sie eben oft erst zu spät.
00:05:30:19 - 00:06:03:13
Marc Vogel
Wir gehen davon aus, dass es so ein Behandlungsgap von zehn Jahren ist jetzt bei unserer Beispiel Patientin jetzt vor 20 Jahren angenommen, angefangen zu konsumieren. Und wir wissen natürlich nicht genau, wann jetzt der Konsum in die Abhängigkeit gekippt ist. Aber es ist sicherlich auch schon ein paar Jahre her. Wenn jetzt diese Patientin zu uns kommen wird. Man wird dann zusammensitzen und erst mal genau verstehen wollen, worum es geht, wie viel trinkt ein Mensch, was für Entzugssymptome liegen vor?
00:06:03:15 - 00:06:30:13
Marc Vogel
Was ist an weiteren Substanzen da? Welche Rolle spielen zum Beispiel die Tabletten dieser Patientin, die sie zum Schlafen einnimmt? Ist da vielleicht auch schon eine Abhängigkeit da? Viele Schlaftabletten, besonders Benzodiazepine machen ebenfalls abhängig und es gibt häufiges gemeinsames Vorkommen von Alkohol und diesen Tabletten. Wir würden es also verstehen wollen und wir würden dann als allererstes eine Entzugsbehandlung machen.
00:06:30:15 - 00:07:02:17
Marc Vogel
In aller Regel. Das kann man ambulant machen. Wenn jetzt bestimmte Risikofaktoren vorliegen, dann machen wir das grundsätzlich stationär. Bei schweren Anzügen machen wir das auch gerne stationär und dann machen wir eine sogenannte qualifizierte Entzugsbehandlung. Das bedeutet, dass wir einerseits die Entzugssymptome, die auftreten, die sehr unangenehm beim Alkohol, sogar gefährlich sein können, behandeln, mit Medikamenten behandeln, um sie abzumildern und um Komplikationen zu verhindern.
00:07:02:19 - 00:07:04:07
Catherine Weyer
Was sind das für Symptome?
00:07:04:09 - 00:07:37:09
Marc Vogel
Das sind zum Beispiel Symptome wie Schwitzen, wie hoher Blutdruck, schneller Herzschlag, was auftreten kann, Nervosität, Schlafstörungen, Durchfall, Erbrechen, solche Sachen. Und dann so vor den Dingen, vor denen wir uns eigentlich fürchten, die wir wirklich verhindern wollen. Das wären Entzugsepileptische Anfälle, also Krampfanfälle, die man erleidet mit Bewusstseinsverlust, wo es dann auch mal passieren kann, dass man mit dem Kopf zum Beispiel auf dem Bordstein aufschlägt oder ähnliches, was also wirklich schwerwiegende Folgen haben kann.
00:07:37:11 - 00:08:09:03
Marc Vogel
Oder das Delir, was bei schwer alkoholabhängigen Menschen auftritt, insbesondere dann, wenn sie auch mangelernährt sind oder zum Beispiel die Orientierung nicht mehr so gegeben ist und wo es auch zu körperlichen Symptomen kommen kann, die dann auch wirklich gefährlich sind. Das wird dann auch ein Notfall ist, muss man dringend stationär dann behandeln und die Medikamente, die wir geben, das sind eben paradoxerweise dann diese Benzodiazepine, die in in erster Linie empfohlen sind, die wir auch anwenden.
00:08:09:05 - 00:08:37:21
Marc Vogel
Und damit gelingt es aber gut, diese Komplikationen zu verhindern. Und man fängt dann an mit einer bestimmten Dosis, je nach Bedarf von den Patienten und das reduziert man allmählich über einen Zeitraum von ein, zwei Wochen dann bis auf Null. Der eigentliche Entzug dauert so 5 bis 7 Tage, aber dann ist der Entzug auch abgeschlossen und das ist für die Patienten dann deutlich angenehmer und sicherer, als wenn sie einfach so aufhören und entsprechende Komplikationen entwickeln können.
00:08:37:22 - 00:09:05:19
Marc Vogel
Das ist aber nur die pharmakologische Behandlung. Und wenn ich von qualifizierter Entzugsbehandlung spreche, dann meine ich etwas, was darüber hinaus geht, dass wir nicht nur ein Medikament geben, sondern dass wir eben auch motivierend mit den Patienten arbeiten. Motivierend in Bezug auf eine Verhaltensänderung, in Bezug auf das Erlernen von alternativen Strategien, zum Beispiel zum Entspannen statt das Feierabendbier oder was anderes machen, dass wir auch Diagnostik betreiben.
00:09:05:19 - 00:09:34:09
Marc Vogel
Wir gucken also bei den Patienten, was liegt noch an psychiatrischen Problemen vor? Gibt es da vielleicht Zusammenhänge? Sind das also zum Beispiel posttraumatische Belastungsstörungen, die zum Konsum führen? Es ist eine Angststörung, die zum Konsum führt. Oder liegt zum Beispiel eine Depression oder ähnliches vor? Das gucken wir auch. Uns behandeln wir auch entsprechend. Und im Anschluss an diesen eigentlichen qualifizierten Entzug kommt es oft zu so einer zweiten Phase.
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Marc Vogel
Traditionellerweise, im deutschsprachigen Raum nennt man das Entwöhnungsbehandlung. Da geht es dann eigentlich darum, wirklich ohne die Substanz, in diesem Beispiel Alkohol leben zu lernen, Also wirklich rauszufinden, welche Rolle spielt die Substanz? Warum konsumiere ich in bestimmten Momenten Alkohol? Warum braucht ein Patient das? Es geht darum, zu erlernen: Was sind Warnzeichen, die auf Konsum hindeuten? Was sind scheinbar belanglose Entscheidungen, die wir treffen im Vorfeld, ohne dass sie mit dem Konsum direkt zusammenhängen, aber die am Ende doch zum Konsum führen.
00:10:15:06 - 00:10:27:08
Marc Vogel
Dass wir lernen, die zu erkennen und am Ende eben auch lernen, unterschiedliche Strategien anzuwenden, um konsumnahe Situationen und schlussendlich auch Konsum zu verhindern.
00:10:27:10 - 00:10:32:07
Catherine Weyer
Am Ende dieses Prozesses ist das Ziel, dass die Person keinen Alkohol mehr trinkt?
00:10:32:10 - 00:11:04:17
Marc Vogel
Das muss nicht sein. Jetzt in diesem Beispiel mit einer stationären Behandlung wäre sicher erst mal Abstinenz ein Ziel. Fürs Erste. Zumindest für die Dauer der Behandlung. Aber wissen Sie, wenn jemand abstinent ist, muss das nicht notwendigerweise heissen, dass es ihm gut geht. Abstinenz ist für uns nicht notwendigerweise immer das Ziel einer Behandlung, sondern das Ziel ist eigentlich, dass es den Menschen gut geht, dass sie ein Leben führen können, das selbstbestimmt ist und mit einer hohen Lebensqualität.
00:11:04:17 - 00:11:34:10
Marc Vogel
Darum geht es uns primär. Und das Therapieziel erarbeiten wir gemeinsam mit den Patienten. Und man muss sagen jetzt beim Alkohol ist oft Abstinenz das Ziel. Manchmal, oder auch nicht so selten, ist es so, dass Patienten sich das zu Beginn nicht unbedingt vorstellen können, abstinent zu leben und sagen Ich möchte eigentlich kontrolliert trinken oder ich möchte reduziert trinken. Und dann würden wir uns auf dieses Ziel auch einlassen und auch versuchen, das Ziel zu verfolgen.
00:11:34:12 - 00:11:53:02
Marc Vogel
Bei vielen Menschen ist es aber so, dass sie im Verlauf merken, dass sie sich wohler fühlen mit der Abstinenz. Es ist so, dass wenn man natürlich kontrolliert trinkt, dass man immer wie in Habachtstellung ist. Man muss immer aufpassen oder man kann nie völlig entspannen, muss immer gucken, wenn man trinkt. Oh, jetzt muss ich aber schauen und gucken. Und wenn man gar nicht trinkt, ist es wie klar.
00:11:53:04 - 00:12:10:00
Marc Vogel
Aber das ist sehr unterschiedlich. So wie die Menschen sehr unterschiedlich sind, versuchen wir auch eine individualisierte Therapie mit individuellen Zielen anzubieten und diese Ziele können sich ändern. Aber Konsumreduktion ist ein legitimes und gutes Behandlungsziel.
00:12:10:02 - 00:12:20:05
Catherine Weyer
Aber es ist jetzt nicht so, dass eine alkoholkranke Person, wenn sie einmal ein Glas Bier trinkt, dann wieder rückfällig ist und wieder völlig in die gleichen Fahrwasser von früher gerät.
00:12:20:07 - 00:12:46:01
Marc Vogel
Das muss nicht passieren, das ist richtig, das kann passieren. Das Risiko ist natürlich da. Jedes Mal, wenn man trinkt, gibt es ein gewisses Risiko von einem Rückfall. Wir unterscheiden da in der Therapie gerne Rückfall von Ausrutscher. Ein Glas Bier wäre vielleicht ein Ausrutscher. Ein Rückfall wäre dann so über 1,2,3 Tage wirklich so ein Konsummuster wie vorher bei dieser Patientin jetzt zwei Flaschen Wein beispielsweise.
00:12:46:03 - 00:13:11:01
Marc Vogel
Also das kann passieren, aber es muss nicht passieren. Man muss auch festhalten, dass wir ja leider nur ein Bruchteil der Patienten, die eigentlich betroffen sind, bei uns in Therapie sehen. Das ist aber auch ein Teil der Menschen, die nicht in Therapie kommen, es schaffen, alleine ihr Problem in den Griff zu bekommen und die Kontrolle wiederzuerlangen. Also es braucht nicht immer eine psychiatrische Therapie, muss man auch sagen.
00:13:11:01 - 00:13:13:11
Marc Vogel
Also Menschen schaffen das auch alleine zum Teil.
00:13:13:17 - 00:13:22:01
Catherine Weyer
Sie therapieren ja nicht nur Leute, die eine Problematik mit Alkohol haben. Wie sehr unterscheiden sich die verschiedenen Substanzen jetzt in Bezug auf die Therapie?
00:13:22:07 - 00:14:01:07
Marc Vogel
Also wir behandeln nicht nur substanzabhängige Menschen in den UPK, behandeln auch Verhaltenssüchte, also Menschen mit Spielsucht, mit Onlinesucht oder oder auch mit Hypersexualität. Sie können sich das so vorstellen. Es gibt verschiedene Pfeiler in der Therapie und ein Pfeiler sind Medikamente. Ein anderer Pfeiler ist die Psychotherapie, die wir anbieten. Und die Psychotherapie hat sehr viele Gemeinsamkeiten über diese ganzen Problemstellungen hinweg, nämlich zum Beispiel die Analyse vom Problemverhalten, die Analyse von auslösenden Faktoren.
00:14:01:12 - 00:14:28:04
Marc Vogel
Wir versuchen herauszufinden, welche Faktoren gehen dem Konsum voraus, eben auch, um dann das bearbeiten zu können und natürlich auch die Konsequenzen des Konsums, die Motivation für eine Verhaltensänderung, Gesprächstechniken wie motivierende Gesprächsführung, bei der man strukturiert eigentlich versucht, die die Motivation und auch die Zuversicht für eine Verhaltensänderung zu stärken. Das alles wenden wir an, und zwar substanzübergreifend und auch verhaltensübergreifend.
00:14:28:06 - 00:14:50:02
Marc Vogel
Und dann gibt es so einige spezielle Ausformungen. Zum Beispiel wissen wir bei der Kokainabhängigkeit, dass die kognitive Verhaltenstherapie besonders effektiv ist. Oder wir wissen zum Beispiel, dass bei der Opioidabhängigkeit die medikamentöse Behandlung das, was man früher als Substitution und heute als Opioid-Agonisten-Behandlung bezeichnet, eben besonders effektiv ist.
00:14:50:04 - 00:14:58:06
Catherine Weyer
Das bedeutet, dass Leute mit einer Opioidsucht wahrscheinlich auch den Rest ihres Lebens andere Medikamente zu sich nehmen müssen.
00:14:58:08 - 00:15:25:09
Marc Vogel
Ich möchte es gern so darstellen: Die opiatgestützte Behandlung oder Opioid-Agonisten-Behandlung ist eine der effektivsten oder wahrscheinlich die effektivste medikamentöse Therapie, die wir in der Psychiatrie überhaupt haben. Wir sprechen da gerne, um das zu messen in der Medizin von der «Number needed to treat». Also wie viele Patienten muss ich eigentlich behandeln, um bei einem Patienten Erfolg zu haben? Und das liegt bei der Opioid-Agonisten-Behandlung bei zwei.
00:15:25:11 - 00:15:53:18
Marc Vogel
Das ist extrem gut. Wenn man jetzt andere zum Beispiel Antidepressiva nimmt, dann ist das schon so bei 5,6,7. Und wenn man jetzt zum Beispiel die Herzinfarkt-Sekundärprophylaxe nimmt, dann liegt die meines Wissens über 90. Also man muss sich über 90 Leute behandeln, um einen Erfolg zu haben. Insofern können Sie sich vorstellen, es sind extrem erfolgreiche Behandlungen, die Opioid-Agonisten-Behandlung.
00:15:53:20 - 00:16:19:12
Marc Vogel
Wir gehen auch davon aus, dass es eine chronische Erkrankung ist, also dass die Veränderungen im Gehirn, die wir auch messen und nachweisen können, mit funktionellen bildgebenden Verfahren zum Beispiel. Wir gehen davon aus, dass die chronisch sind, dass die anhaltend da sind. Und das bedeutet, dass diese Erkrankung im Prinzip ein Leben lang vorliegt. Und das bedeutet auch, dass man diese medikamentöse Behandlung im Prinzip zeitoffen durchführt.
00:16:19:13 - 00:16:48:09
Marc Vogel
Das muss nicht heissen, dass Menschen nicht auch das Medikament ausschleichen können und damit aufhören können. Aber es kann sein, dass das, dass wir das lebenslang, also bis zum Tod, tatsächlich auch bis ins Altersheim fortführen, auch als Behandlung für die Lebensqualität der betroffenen Menschen. Man muss auch immer wissen: Wenn man einen Entzug macht von Opioide, dann ist das Rückfallrisiko sehr hoch.
00:16:48:09 - 00:17:22:24
Marc Vogel
Wir gehen davon aus, dass reine Entzugsbehandlung so Erfolgsquoten um die 5 % hat. Und bei den Opioid-Agonisten-Behandlung liegen Erfolgsquoten so zwischen 60 und 90 %, also deutlich besser. Insofern versuchen wir natürlich, den Patienten wieder individuell was zu empfehlen, aber auch einen individuellen Weg zu gehen. Und die Empfehlung ist oft eine Opioid-Agonisten-Behandlung zumindest so lange zu machen, bis das Leben ausreichend stabilisiert ist.
00:17:23:01 - 00:17:45:02
Marc Vogel
Was man auch sagen muss Wenn Menschen mit Opioidabhängigkeit das Medikament abbauen, dann verlieren sie die sogenannte Toleranz, also die Gewöhnung an Opioide. Und wenn man die Gewöhnung verliert und einen Rückfall mit Opioide hat, dann wird es sehr schnell gefährlich, weil die Opioide atemdepressiv wirken. Also sie sorgen dafür, dass man aufhört zu atmen und dann hat man eine Überdosis, in der man versterben kann.
00:17:45:04 - 00:17:58:01
Marc Vogel
Und das ist so ein typisches Muster: Entzug, dann Rückfall und dann eben Tod durch Überdosis. Da klären wir die Patienten sehr, sehr sorgfältig drüber auf, dass das eben doch ein Vielfaches erhöht ist, wenn man diesen Weg gehen möchte.
00:17:58:03 - 00:18:31:24
Catherine Weyer
Gerade Heroinabhängige leben ja auch mit einer wahnsinnigen Stigmatisierung. Also in der Schweiz haben wir den Platzspitz, der so das Symbol für diese Erkrankung ist und dann auch später mit diesen Kontakt- und Anlaufstellen, die es gegeben hat, die ab jetzt immer wieder weiter nach draussen gehen, aus den Städten verschwinden. Wie schwierig ist es auch zu rechtfertigen, dass man sich sehr intensiv mit dieser Gruppe von Leuten beschäftigt, dass das eben nicht Leute sind, die einfach quasi ihr Leben aufgegeben haben für eine Sucht, sondern dass die genauso ein Anrecht haben auf eine Therapie.
00:18:32:01 - 00:18:58:12
Marc Vogel
Das ist eine schwere Frage, Frau Weyer. Also für mich ist es überhaupt nicht schwierig, mich für diese Menschen einzusetzen und auch mit diesem Menschen zu arbeiten. Ich mag viele meiner Patienten unheimlich gerne und ich mache das total gerne, weil das ja auch für mich lohnende und und und fruchtbare Begegnungen sind. Das sind spannende Menschen, das sind Menschen, die oft mit schweren Rucksack auch ins Leben geschickt wurden und durchs Leben gehen.
00:18:58:14 - 00:19:33:04
Marc Vogel
Aber das ist richtig. Es ist immer noch schwer stigmatisiert. Das Verhalten schwer stigmatisierte Erkrankungen. Ich glaube, wir in der Schweiz haben durch unsere doch sehr liberale, progressive Drogenpolitik in den 90er Jahren und auch das gut ausgebaute Behandlungssystem, was wir haben, diesen Menschen sehr gut helfen können. Und wir haben das sehr gut hinbekommen, auch einen gesellschaftlichen Konsens zu haben, dass man diesen Menschen helfen und dass man sie behandeln muss.
00:19:33:06 - 00:20:13:03
Marc Vogel
Und dieser Konsens erwächst natürlich auch daraus, dass zum Beispiel auch die Polizei oder die Justiz gemerkt haben, wenn man eine gute Behandlung anbietet, dann gibt es weniger Kriminalität. Dann sind die Menschen weniger auf der Strasse, dann gibt es weniger Strafverfolgung, weniger Diebstähle. Dann funktioniert vieles sehr viel besser. Und was wir auch wissen, dann, wenn wir sie gut behandeln, gibt es auch in anderen Bereichen weniger Kosten, also zum Beispiel im medizinischen Bereich oder ähnlichem, weil wir die Beschaffungskriminalität in Griff kriegen, weil wir die Komplikationen des Konsums in den Griff kriegen, die eben häufig aus der illegalen Beschaffung der Substanzen erwachsen.
00:20:13:05 - 00:20:42:10
Marc Vogel
Und das ist tatsächlich Konsens über verschiedene Bereiche in der Medizin hinweg und auch Bereiche der Gesellschaft hinweg, dass das funktioniert. Wir müssen eher jetzt so ein bisschen aufpassen. Das, was Sie angesprochen haben, dass die Kontakt- und Anlaufstellen, also die Konsumräume, wo man selbst mitgebrachte Drogen unter Aufsicht auch konsumieren kann und auch eben medizinische Unterstützung haben kann, auch im Kontakt zum Hilfesystem, zum Therapiesystem geknüpft werden kann.
00:20:42:10 - 00:21:05:07
Marc Vogel
Wenn man sich entscheidet, die Therapie angehen zu wollen, dass wir uns die erhalten, dass die nicht weiter immer aus dem Blickfeld geschoben werden und immer schwerer erreichbar werden für unsere Menschen und dass sie eben doch niederschwellig erreichbar sind. Und ich glaube, das ist schon wichtig und das ist auch an uns jetzt an der Uni. Wir versuchen es weiterzugeben an die Studenten das Wissen über die offenen Drogenszenen, über die Behandlung.
00:21:05:09 - 00:21:34:18
Marc Vogel
Früher war das so, dass, wenn ich gefragt habe im Studentenunterricht, wer kennt den Platzspitz noch, wer weiss, was da passiert. Es haben alle aufgeschreckt. Jetzt. Mittlerweile sind es von zehn, vielleicht noch zwei. Die, die da aufschrecken, die das noch wissen. Und das zieht sich auch dann später zu den Ärzten. Wir merken jetzt, dass die die Motivation, heroinabhängige Menschen und opioidabhängige Menschen in den Praxen zu behandeln, von den Hausärzten auch ein bisschen zurückgegangen ist.
00:21:34:20 - 00:21:55:13
Marc Vogel
Zumindest sehen wir das an den Zahlen, die Hausärzte sind eigentlich die wichtigsten Player in der Behandlung dieser Menschen. Über 50 % der Behandlungen liefen traditionellerweise in der Schweiz über die Hausärzte. Und das ist eben auch Entstigmatisieren, weil sie ganz normal wie jeder andere auch in der Behandlung sind. Und wir sehen jetzt, dass das nachlässt, dass das weniger wird.
00:21:55:13 - 00:22:12:04
Marc Vogel
Und wir müssen gucken, dass wir uns diese Stärke unseres Behandlungssystems, was uns auch von von fast allen Ländern unterscheidet in den Behandlungsstrukturen, dass wir uns das bewahren, also dass wir die Hausärzte auch wieder motivieren und wieder mehr einbinden.
00:22:12:06 - 00:22:16:19
Catherine Weyer
Wenn nur 2 von 10 Studierenden wissen, was der Platzspitz ist, können sie es vielleicht kurz erklären.
00:22:16:21 - 00:23:08:07
Marc Vogel
Also der Platzspitz ist natürlich heute ein wunderschöner Park am Zürcher Bahnhof. Das war aber nicht immer in den 1980er und 90er Jahren war dort eine grosse offene Drogenszene, wo Menschen in aller Öffentlichkeit Drogen konsumiert haben, sich Heroin gespritzt haben, Kokain gespritzt haben, wo Drogen gehandelt wurden, wo viel Kriminalität war, wo auch viel Brutalität und Gewalt war. Es wurde dann geräumt und dann hat sich diese Szene an den an den Letten und den alten Bahnhof in Zürich verlagert, bis eigentlich so die die Schweizer Drogenpolitik sich doch deutlich verändert hat mit niederschwelligen Behandlungsangeboten, mit niederschwelliger Opioid-Agonisten-Behandlung mit heroingestützter Behandlung, mit anderen Angeboten wie Kontakt- in Anlaufstellen, also Konsum räumen.
00:23:08:09 - 00:23:26:02
Marc Vogel
Und erst so hat man das in den Griff gekriegt. Und das war für die Schweiz damals schon sehr, sehr unangenehm. Es war das grösste und drängendste Problem in den Köpfen der Leute die Drogenpolitik. Und das hat Wellen geschlagen bis nach Amerika, wo das auf der Titelseite der New York Times war der Platzspitz.
00:23:26:04 - 00:23:42:09
Catherine Weyer
Es gibt ja auch Diskussionen, ob Cannabis legalisiert werden soll. Man spricht darüber, LSD auch als Therapie-Medikament einzusetzen. Und dann werden auch die Stimmen laut, die sagen das darf auf keinen Fall passieren, weil sonst steigt der Drogenkonsum. Was denken Sie dazu?
00:23:42:11 - 00:24:15:20
Marc Vogel
Ja, das ist eine schwierige und diffizile Frage. Ich würde es vielleicht kurz vorausschicken: LSD macht nicht abhängig und auch Psilocybin, der Wirkstoff aus den Zauberpilzen, macht nicht abhängig. Das sind psychotrope Drogen, die auch schwere Nebenwirkungen machen können. Im schlimmsten Fall auch vielleicht mal eine Psychose auslösen können, aber auf jeden Fall sehr angstbesetzte Zustände auslösen können. Wenn man so einen sogenannten Horrortrip hat, sind aber ansonsten Substanzen, die nicht zu Abhängigkeit führen.
00:24:15:20 - 00:24:44:24
Marc Vogel
Das heisst, die machen mir ehrlich gesagt keine grosse Sorge, im Gegenteil. Das ist jetzt ja en vogue, dass man LSD, Psilocybin auch für bestimmte psychiatrische Störungen wie Depressionen oder vielleicht oder Substanzabhängigkeit noch einsetzen kann. Im Cannabis sieht es ein bisschen anders aus. Es ist immer eine Abwägung, wenn man über Legalisierung von oder oder Regulierung von Substanzen spricht.
00:24:45:01 - 00:25:13:22
Marc Vogel
Und ich denke, das ist nicht schwarz oder weiss. Es gibt Bilder aus der aus der Forschung, da gibt es so eine sogenannte U-Kurve zu Risiken und und zur Regulation. Und das bedeutet, wenn man die Schäden nimmt, dann die Regulierung, dann weiss man, dass wenn man das eine hochfährt, wenn man zum Beispiel die Regulierung hochfährt, dass es überhaupt nicht reguliert, so ein bisschen reguliert, eine Abnahme der Schäden gibt und des Risikos gibt.
00:25:14:02 - 00:25:43:01
Marc Vogel
Und je weiter man dann strenger wird und dann verbietet, dann steigen diese Schäden wieder an, das heisst, die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Wir wollen gerne in dem Nadir, der an der untersten Stelle von dem EU sein und diesem Punkt müssen wir eigentlich finden für Substanzen. Und wenn wir uns jetzt unsere unsere Suchtpolitik angucken, dann können wir zum Beispiel über Tabak oder Alkohol sprechen, die viel zu wenig reguliert sind, viel zu frei erhältlich.
00:25:43:03 - 00:26:11:14
Marc Vogel
Man könnte die zum Beispiel in spezialisierten Geschäften verkaufen. Man könnte bei Zigaretten, die in Einheitsverpackungen, plain packaging, verkaufen. Man könnte ein wirklich griffiges Werbeverbot durchsetzen. Das wissen wir aus anderen Ländern, dass das wirkt, dass die Menschen dann weniger konsumieren. In Sachen Raucherschutz ist die Schweiz Zweitletzter in der Welt hinter der Dominikanischen Republik. Das ist schon ein bisschen peinlich, ehrlich gesagt.
00:26:11:14 - 00:26:35:11
Marc Vogel
Und es ist auch schädlich und teuer, was wir uns da leisten. Also da könnte man eher für mehr Regulierung plädieren. Wenn wir Cannabis nehmen: Cannabis an sich ist bei weitem keine harmlose Substanz. Wir sehen das bei uns in der Ambulanz für Jugendliche und junge Erwachsene, die wir haben. Das ist doch die Mehrheit der Patienten, die sich da vorstellt, stellt sich mit Cannabisabhängigkeit vor.
00:26:35:13 - 00:27:01:06
Marc Vogel
Aber wir wissen auch, dass Cannabis bei Menschen mit einer entsprechenden Veranlagung das sind vor allen Dingen junge Männer mit entsprechender Veranlagung auch das Risiko für Psychosen, also für Schizophrenie, steigern kann. Aber wenn man das auf die Gesamtbevölkerung, die Gesamtzahl der cannabisrauchenden Cannabis konsumierenden Menschen umrechnet, das ist halt doch nur ein Bruchteil der Leute. Und es ist immer eine Abwägung wie,
00:27:01:08 - 00:27:44:02
Marc Vogel
wie wichtig ist einem der Schutz von diesen Wenigen gegenüber den Rechten und den Einschränkungen der Mehrheit? Und die andere Frage ist auch: Können wir vielleicht mit einer besseren Regulierung auch besser schützen? Denn im Moment ist es so, dass obwohl Cannabis zum Privatkonsum ja verboten ist, ist es so, dass man problemlos drankommt und das viel und eigentlich in allen Altersschichten, vor allen Dingen aber zwischen 15 und 25 eben doch viel konsumiert wird und im Moment also unser System jetzt schützt die Jugend nicht adäquat und da sollten wir was ändern.
00:27:44:04 - 00:28:04:08
Marc Vogel
Ich wird deswegen schon dafür plädieren, Cannabis zu regulieren, aber ich möchte es auch keineswegs verharmlosen. Und man muss sich auch darüber klar sein, wenn man es reguliert, geht die Zahl der Konsumenten vermutlich ein bisschen hoch. Aber man muss es natürlich auch vernünftige Weise auch regulieren. Man kann jetzt nicht die Daten aus den USA, aus Colorado zum Beispiel nehmen.
00:28:04:08 - 00:28:30:18
Marc Vogel
Die cannabishaltige Gummibärchen und Ähnliches erlauben, sondern man muss es eben so regulieren, dass man es in speziellen Läden nur verkauft. Das war nur spezielle Produkte verkauft, dass man Werbung verbietet usw. Also man muss es sorgfältig regulieren und dann können wir weitere Substanzen angucken wie Kokain und Heroin. Ich bin schon der Meinung, dass es viele Vorteile haben kann, diese Stoffe auf Rezept abzugeben.
00:28:30:18 - 00:28:58:14
Marc Vogel
Auf ärztliches Rezept, für eine totale Freigabe würde ich mich überhaupt nicht stark machen. Das wäre mir dann doch viel zu heikel. Aber dass man versucht, den Schwarzmarkt auszutrocknen, indem man zum Beispiel Kokain auf Rezept abgibt, indem man auch dann Kontakt hat mit den Menschen und gucken kann, wie problematisch ist der Konsum? Braucht es vielleicht auch eine Intervention und auch um diesen diesen Zugang zum Hilfesystem gleichzeitig gewährleistet.
00:28:58:16 - 00:29:01:08
Marc Vogel
Das könnte viele Vorteile haben.
00:29:01:10 - 00:29:08:21
Catherine Weyer
Wir haben jetzt viel über illegale Drogen gesprochen, aber es gibt ja auch noch die legalen. Wie grosse Sorgen bereiten Ihnen Alkohol und Tabak in Ihrer Arbeit?
00:29:08:23 - 00:29:43:22
Marc Vogel
Ja. Also grösste Sorgen. Tatsächlich Die meisten Menschen, die wir behandeln, sind alkoholabhängig, stationär in den UPK im Suchtbereich. Ganz klar, es ist die Substanz, die auf die Gesamtbevölkerung gerechnet sicher am meisten Schaden macht. Zusammen mit dem Tabak oder weil es natürlich auch am meisten Konsumenten gibt. Aber beim Alkohol ist auch klar, es macht einen grossen Schaden, wenn man bedenkt, dass jedes zweite Gewaltdelikten der Schweiz unter Alkoholeinfluss passiert und wenn man sie so bedenkt, dass man vielleicht mal
00:29:43:24 - 00:30:19:19
Marc Vogel
gibt es Leute, die fahren betrunken von der Disko heim und setzen das Auto mit vier Kollegen an den Baum. Fünf Leute tot. Das ist ein erheblicher Schaden, der da entsteht. Und auch bei uns tatsächlich in der Klinik ist es die häufigste und und wichtigste Substanz für Tabak. Abhängigkeit. Auch das, weil eben so viele Menschen rauchen und anhaltend rauchen, dort auch viele Junge jetzt mit dem Welpen und ähnlichem anfangen, haben wir schon ein Problem, weil wir diese Raten nicht runter kriegen und weil die Tabak Folgeerkrankungen doch massiv teuer sind und auch am Ende dazu führen, dass die Menschen deutlich früher sterben.
00:30:19:19 - 00:30:46:11
Marc Vogel
Und das ist so ein Paradoxon. Das will ich Ihnen kurz noch sagen. In der heroingestützten Behandlung haben wir die schwerst abhängigen. Alle anderen dürfen da gar nicht rein. Und wir haben da Menschen, die sind jetzt seit knapp 30 Jahren in Behandlung. Die sterben nicht am Heroin, die sterben am Tabak und an den Tabak, Folgeerkrankungen am Lungenkrebs. Also es macht uns grosse Sorgen, aber es ist auch eine drogenpolitische Sache.
00:30:46:11 - 00:31:01:22
Marc Vogel
Da sind wir im Rahmen der Schweizer Gesellschaft versucht Medizin dran, da auch positive Veränderungen zu erreichen. Wir freuen uns auch immer über Volksinitiativen wie zum Werbeverbot und ähnlichem. Und da machen wir sicher viel zu wenig in der Schweiz.
00:31:01:24 - 00:31:12:24
Catherine Weyer
Sie haben am Anfang vom Gespräch gesagt, dass die meisten Leute viel zu spät zu Ihnen kommen, wenn das Problem schon sehr weit fortgeschritten ist. Was würden Sie sich wünschen? Wann sollen Leute zu Ihnen in die Behandlung kommen?
00:31:13:01 - 00:31:34:21
Marc Vogel
Ideal wäre es eigentlich dann, wenn man merkt, dass der Alkohol doch eine grössere Rolle spielt, als man es eigentlich möchte. Und wenn man merkt, dass die Kontrolle über den Alkohol und das Verhaltensmuster, was man mit Alkohol zum Beispiel hat, nämlich immer auf die gleiche Art und Weise zu trinken, immer in den gleichen Momenten, immer bei den gleichen Gefühlen.
00:31:35:02 - 00:31:55:24
Marc Vogel
Das sind Momente, wo man eigentlich hoch wachsam sein müsste. Vielleicht für Menschen am ehesten in dem Moment, wo man die Kontrolle verliert, also eben doch merkt, das ist nicht mehr möglich, einen Abend nicht zu trinken, das ist nicht mehr möglich. Eine Woche lang nicht zu trinken. Das ist der Moment, wo ich die Menschen eigentlich gern sehen würde. Fakt ist, dass sie eben doch erst viel später kommen.
00:31:55:24 - 00:32:04:15
Marc Vogel
Nämlich dann, wenn. Wenn die Beziehung zu Bruch geht, Wenn der Arbeitgeber Druck macht oder wenn, wenn die Leber nicht mehr so mitspielt.
00:32:04:17 - 00:32:15:22
Catherine Weyer
Es ist das eine, wenn jemand merkt, dass er seinen Konsum nicht mehr im Griff hat und sich bei ihnen meldet, gibt es auch Warnzeichen für Angehörige, dass sie vielleicht mal die Problematik ansprechen sollten.
00:32:15:24 - 00:32:39:04
Marc Vogel
Angehörige haben natürlich in ganz anderen Blick noch mal auf die Menschen. Und wenn einem als Angehöriger auffällt, dass der Konsum aus dem Ruder läuft oder dass das Verhaltensmuster doch sehr eingeengt ist, dass die Ehefrau jeden Tag auf dem Sofa sitzt und Wein trinkt oder dass der Kollege sich abends im Ausgang doch jedes Mal bis zum Filmriss betrinkt.
00:32:39:06 - 00:32:59:03
Marc Vogel
Dann sind schon Momente da, wo man sagen kann: Ja, jetzt spreche ich das an, ich mache mir Sorgen. Das würde ich auch raten dazu, das anzusprechen, sozusagen. Wie ist denn das? Und auch vielleicht mal dazu zu raten, auch eine Therapie zu beginnen oder doch auch mal mit dem Hausarzt zumindest über den Konsum zu sprechen?
00:32:59:05 - 00:33:00:21
Catherine Weyer
Herr Vogel, vielen herzlichen Dank.
00:33:00:23 - 00:33:03:24
Marc Vogel
Gerne. Danke für die Einladung.
00:33:04:01 - 00:33:26:19
Catherine Weyer
Das war Unisonar, der Wissens-Podcast der Universität Basel. Wir freuen uns über Ihr Feedback auf podcast@unibas.ch oder auf unseren Social Media Kanälen. In der nächsten Folge spricht der Historiker Peter-Paul Bänziger über die Drogengeschichte der Schweiz, wie der Platzspitz unseren Blick auf die Drogensucht veränderte und was sich in der heutigen Drogenpolitik ändern sollte. Bis bald.