Der Betäubungsmittelrechtexperte Stephan Schlegel erklärt, weshalb Alkohol und Tabak legal sind und Cannabis und Heroin nicht – und wieso Repression das Drogenproblem nur verstärkt.
Wieso ist Cannabis verboten und Tabak legal? Wann macht sich eine drogenkonsumierende Person strafbar? Und wie sinnvoll ist es überhaupt, den Drogenkonsum unter Strafe zu stellen? Stephan Schlegel, Betäubungsmittelrechtsexperte und Lehrbeauftragter der Universität Basel, spricht bei Unisonar über den rechtlichen Kontext von Betäubungsmitteln.
00:00:01:08 - 00:00:36:18
Stephan Schlegel
Warum hat die eine Substanz kriminalisiert und kontrolliert und die andere Substanz eher weniger kontrolliert. Das ist teilweise nicht sehr logisch und nachvollziehbar. Es hat eigentlich wenig mit der Gefährlichkeit der Substanz als solche zu tun. Repression hilft nicht, die Menschen, die verschwinden nicht, die sind da, die Konsumierenden und die wollen ihren Stoff haben. Und wenn man sie eben in die Illegalität drängt und sie verdrängt, dann organisiert man eben genau das Problem, was man eben eigentlich nicht haben will.
00:00:36:18 - 00:01:01:09
Stephan Schlegel
Das heisst, wir haben eine Beschaffungskriminalität. Durch solche repressiv Massnahmen organisiert man eigentlich nur eine soziale Verelendung. Und es ist eben besser, mit den Leuten zu reden, ihnen ihren Stoff zu geben und sie dadurch in Kontakt zu ihnen zu haben und ihnen dann wirklich auch sozial helfen zu können.
00:01:01:11 - 00:01:19:15
Catherine Weyer
Hallo und herzlich willkommen bei Unisonar, dem Wissens-Podcast der Universität Basel. Heute mit Stefan Schlegel. Er ist Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter für Betäubungsmittelrecht. Wir sprechen über das Betäubungsmittelgesetz und die Frage, weshalb gewisse Drogen legal sind und andere nicht. Herzlich willkommen, Herr Schlegel.
00:01:19:17 - 00:01:20:20
Stephan Schlegel
Guten Tag.
00:01:20:22 - 00:01:35:17
Catherine Weyer
Mein Name ist Catherine Weyer. Bei Unisonar tauchen wir mit Expert*innen der Universität Basel auf den Grund ihrer wissenschaftlichen Forschung. In dieser Staffel sprechen wir über Drogen. Herr Schlegel, weshalb sind Drogen eigentlich illegal?
00:01:35:19 - 00:02:07:13
Stephan Schlegel
Die Frage ist relativ schwierig zu beantworten. Im Prinzip geht es an sich darum, dass der Staat halt bestimmte Rechtsbereiche, die eben von den besonderen Gefahren ausgehen, reguliert. Wir haben das natürlich im Baurecht oder im Strassenverkehrrecht. Wir haben es im Medizinrecht und wir haben es natürlich auch im Betäubungsmittelrecht, weil teilweise dort Substanzen der Kontrolle unterstellt sind, die eben für die Gesundheit nicht gerade zuträglich sind, wenn man sie in grösseren Mengen konsumiert.
00:02:07:15 - 00:02:14:11
Catherine Weyer
Und wie lief da die Entscheidung ab, welche Substanzen man unter das Betäubungsmittelrecht setzt und welche nicht?
00:02:14:13 - 00:02:47:05
Stephan Schlegel
Das hat teilweise historische Gründe. Das hat aber auch kulturelle Gründe. Kulturelle Gründe insofern, als dass jede Gesellschaft irgendwelche Substanzen kennt, die es für irgendwelche Zwecke einsetzt, um sozusagen die eigene Stimmung und das eigene Denken zu beeinflussen. Also wir haben das in den Naturvölkern, die dann irgendwelche Pilze kochen, um sich dann näher zu ihren Göttern zu bewegen. Wir haben teilweise Substanzen, die man verwendet, einfach um fröhlich zu sein.
00:02:47:07 - 00:03:15:22
Stephan Schlegel
Und das ist in jeder Kultur anders. Und es gibt in unserer Kultur einfach bestimmte Substanzen wie zum Beispiel Alkohol. Die sind halt gesellschaftlich anerkannt, die benutzt man einfach, um sich wohlzufühlen. Um sozusagen gemeinsam gesellig zu sein. Und es gibt eben andere Substanzen, die sind eben nicht so verbreitet. Und diese Substanzen, die beeinflussen auch das Denken. Das sind also die klassischen Betäubungsmittel, wie wir sie kennen.
00:03:15:24 - 00:03:50:07
Stephan Schlegel
Und diese Substanzen, die sind eben dann teilweise kriminalisiert. Aber warum man die eine Substanz kriminalisiert und kontrolliert und die andere Substanz eher weniger kontrolliert? Das ist teilweise nicht sehr logisch und nachvollziehbar. Also es hat eigentlich wenig mit der Gefährlichkeit der Substanz als solche zu tun, sondern das hat mehr was damit zu tun: Wie bekannt ist die Substanz, Wie geht man damit um und geht von der Substanz bestimmte Verhaltensweisen aus, die man eben unter Umständen nicht haben will?
00:03:50:09 - 00:03:58:02
Catherine Weyer
Aber das bedeutet es ist jetzt nicht so, dass man sich anschaut, welche Auswirkungen kann die Substanz haben und je nachdem wird sie dann kriminalisiert oder nicht?
00:03:58:07 - 00:04:30:12
Stephan Schlegel
Nein, also überhaupt nicht. Wenn wir das Thema Alkohol nehmen: Wir haben beispielsweise in der Schweiz ungefähr 200'000 oder über 200'000 Menschen, die alkoholabhängig sind. Wir wissen, Alkohol sorgt für schwerste Gesundheitsschäden. Alkohol hat Auswirkungen, auch auf die Gesellschaft selber. Also angefangen einfach von der Verursachung von Verkehrsunfällen. Wir haben Gewalt in den Familien oder Eltern, die infolge von Alkoholismus sich nicht um ihre Kinder kümmern können.
00:04:30:18 - 00:04:58:03
Stephan Schlegel
Und trotzdem ist diese Substanz sehr, sehr weit verbreitet in der Gesellschaft. Und wir haben eben andere Substanzen, von denen eben deutlich geringere Gefahren ausgehen, wie zum Beispiel Cannabis, die von ihren Wirkungen her und von ihren Gesundheitsschäden her deutlich weniger schwerwiegend sind als Alkohol. Und diese Substanzen sind eben kriminalisiert. Dafür kommt man ins Gefängnis, wenn man sich damit berauscht und wenn man sich mit Alkohol berauscht
00:04:58:03 - 00:05:01:12
Stephan Schlegel
im Prinzip nicht, solange man nicht unbedingt jemand tot fährt.
00:05:01:14 - 00:05:08:03
Catherine Weyer
Am besten schauen wir mal anhand von zwei Beispielen, wie die Schweiz den Handel mit illegalen Drogen sanktioniert.
00:05:08:05 - 00:05:36:04
Einsprecher
Ein 22-jähriger Mann verkauft regelmässig in kleinen Mengen Kokain. Er wird am Samstagabend von der Polizei aufgegriffen. Insgesamt hat er 20 Gramm Kokain in 20 Päckchen bei sich. Es ist bereits das zweite Mal, dass die Polizei in kontrolliert.
Die Grenzwache kontrolliert an einem Sonntagnachmittag ein Auto, das von Frankreich her nach Basel einreist. Dabei stellt sie 120 Kilogramm des Betäubungsmittels Kath fest.
00:05:36:06 - 00:05:40:04
Catherine Weyer
Was sind in diesen beiden Fällen die strafrechtlichen Konsequenzen?
00:05:40:06 - 00:06:14:22
Stephan Schlegel
Ja, das hängt eben von den Einzelfällen ab und auch von dem, was die entsprechenden Personen sagen oder eben nicht sagen. Also wir haben im schweizerischen Betäubungsmittelrecht sozusagen zwei Gleise, auf denen sich sozusagen das Verfahren oder die Behandlung von Personen, die Umgang mit Betäubungsmitteln haben, bewegt. Wir haben einerseits das Gleis der Konsumenten. Dort ist es einfach so, dass alle Handlungen, die zum Konsum begangen werden, also der Erwerb von Betäubungsmitteln, das Lagern usw.
00:06:14:24 - 00:06:42:14
Stephan Schlegel
und der Konsum selber, die werden als Übertretung behandelt. Das heisst also, es gibt einfach eine Busse, es gibt kein Strafregistereintrag und es passiert eigentlich vergleichsweise relativ wenig. Also das kann man jetzt so vergleichen mit falsch parkieren oder so etwas. Das ist eben auch eine Übertretung. Und dann haben wir das zweite Gleis, das ist der Handel. Und alle Personen, die eben Handel mit Betäubungsmittel betreiben, die werden deutlich härter angefasst.
00:06:42:14 - 00:07:15:16
Stephan Schlegel
Das heisst, die bekommen mindestens eine Geldstrafe, wenn nicht sogar eine Freiheitsstrafe. Und je nachdem, wie umfangreich dieser Handel ist, desto höher ist natürlich die Strafe. Und es kann also bei schwereren Delikten bis zu 20 Jahre Freiheitsstrafe bedeuten. Wenn wir uns jetzt diese beiden Fälle anschauen, dann hängt das ein Stück weit davon ab – wenn vielleicht erst einmal diesen Kokainfall uns anschauen – was die entsprechende Person sagt oder ob sie überhaupt irgendwas sagt, wie schlau sie sich dort verhält.
00:07:15:18 - 00:07:41:14
Stephan Schlegel
Also die schlauste Antwort gegenüber der Polizei wäre wahrscheinlich zuerst mal: Ich möchte erst mal mit dem Anwalt reden. Und je nachdem könnte man vielleicht in diesem Falle hier noch sagen, okay, also diese 20 Päckchen, die habe ich eben für meinen Eigenkonsum besorgt. Das ist so meine Monatsdosis. Ich teile die mir immer ein und wenn man ihm das glaubt, dann ist man eben im Bereich Eigenkonsum und dann ist man im Bereich einer Übertretung.
00:07:41:16 - 00:08:13:19
Stephan Schlegel
Wenn man ihm das allerdings eben nicht glaubt, weil er irgendwie auf einer Party mit diesen 20 Päckchen da herumgerannt ist und man geht davon aus, dass er Händler ist, dann hat er ein grösseres Problem. Das besteht im Prinzip darin Das Entscheidende ist, wie hoch ist der Wirkstoffgehalt von diesen 20 Gramm? Wir orientieren uns bei Betäubungsmittel immer am Wirkstoffgehalt und nicht an der Menge der Substanz selber, die man hat, weil häufig sind bestimmte Betäubungsmittel, Heroin, Kokain, Amphetamin noch gestreckt.
00:08:13:19 - 00:08:46:10
Stephan Schlegel
Das sind also irgendwelche anderen Stoffe da drin. Und wenn wir jetzt mal davon ausgehen, in diesen 20 Päckchen sind, wie das inzwischen recht üblich ist, bei Kokain ein Wirkstoffgehalt 95 %, dann sind wir über 18 Gramm reiner Wirkstoff. Und das ist dann wirklich ein ernsthaftes Problem, weil man dort im Bereich einer sogenannten Qualifikation ist. Das heisst also, das ist eine Menge, die nach der Rechtsprechung geeignet ist, eine Vielzahl von Menschen zu gefährden.
00:08:46:12 - 00:09:31:08
Stephan Schlegel
Und das führt dazu, dass es eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr gibt. Und wenn die entsprechende Person noch richtig Pech hat, dann ist sie auch noch Ausländer oder Ausländerin. Und dann gibt es allenfalls dann auch noch eine Landesverweisung. Das ist so ein bisschen das Problem in dieser Geschichte mit dem Kokain. Das heisst also, strafrechtlich gesehen ist es eine relativ gefährliche Situation. Ein bisschen anders sieht das in dem Fall mit dem Kath aus, das sind 120 Kilogramm Betäubungsmittel, denkt man ja nun, Oh mein Gott, das ist eine Riesenmenge und hier ist eben das Besondere daran, dass eben diese Mengen an Stoffen, die geeignet sind, eine Vielzahl von Menschen zu gefährden, nur für ganz
00:09:31:08 - 00:09:59:22
Stephan Schlegel
wenige Betäubungsmittel definiert sind. Also die Rechtsprechung hat es für Heroin, Kokain, Amphetamin und LSD und Methamphetamin getan. Und für alle anderen Stoffe, die auch ein Betäubungsmittel unterstehen, hat sie das nicht getan. Und das, obwohl das 120 Kilogramm sind. Gibt es eben dann diesen qualifizierten Fall mit dieser Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr nicht. Und wir sind dann eben in dem Bereich von Geldstrafe bis Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.
00:10:00:01 - 00:10:21:02
Stephan Schlegel
Und in diesem Fall hat dann auch die entsprechende Person noch Glück, weil da droht dann eben, obwohl sie 120 Kilogramm durch die Gegend gefahren hat, allenfalls auch keine Landesverweisung, wenn es da nicht noch andere Sachen gibt, an die man da denken könnte. So bandenmässiges Handeln beispielsweise oder das nur eben versucht hat oder dass man einen grossen Umsatz mit diesem Handel generiert.
00:10:21:04 - 00:10:27:09
Stephan Schlegel
Aber prinzipiell könnte sie da noch recht gut davon kommen.
00:10:27:11 - 00:10:31:03
Catherine Weyer
Und weshalb ist das nicht genauer definiert? Jetzt zum Beispiel für Kath?
00:10:31:05 - 00:10:58:10
Stephan Schlegel
Da müssen Sie das Bundesgericht fragen. Das Bundesgericht hat wirklich nur für die von mir gerade genannten Substanzen eine solche Definitionen abgegeben. Für andere Substanzen hat es das nicht getan. Es gibt andere Staaten, zum Beispiel Deutschland. Da gibt es wirklich solche Mengenangaben, wo es dann eben bestimmte Mindestfreiheitsstrafen gibt für alle möglichen Betäubungsmittel. Aber das Bundesgericht hat das bisher eigentlich nicht geregelt.
00:10:58:12 - 00:11:14:20
Stephan Schlegel
Und warum, das weiss ich nicht. Aber ich glaube, man ist auch ganz glücklich damit, also man muss dann eben wirklich nicht für jede Substanz eine Regelung schaffen. Und man hat das eben für die häufigsten Substanzen auf dem Markt getan.
00:11:14:22 - 00:11:24:11
Catherine Weyer
Sie haben es ganz am Anfang erwähnt: fast 250'000 Schweizerinnen und Schweizer sind alkoholabhängig. Weshalb legitimiert man das dennoch?
00:11:24:13 - 00:11:56:04
Stephan Schlegel
Also ich kann es mir wirklich nur erklären, dass es einen wirklichen kulturellen Hintergrund hat. Alkohol ist in unserer Gesellschaft eben weit verbreitet. Das ist quasi ein Synonym für Geselligkeit. Man geht eben am Wochenende aus in den Club und trinkt dann eben nicht Mineralwasser, sondern irgendeinen ein paar Shots oder Bier oder irgendetwas anderes. Und das lässt sich natürlich auch dieses Freizeitverhalten wahrscheinlich so nicht so ganz so einfach aus den Köpfen der Menschen heraus bringen.
00:11:56:06 - 00:12:23:17
Stephan Schlegel
Und das ist, glaube ich, auch die Legitimation. Weil wenn man das verbieten würde, dann würde man eben ein kulturelles Verhalten, was sehr sehr weit verbreitet ist, verbieten. Und das würden glaube ich, würde die Mehrheit der Bevölkerung wenig goutieren und das würde natürlich entsprechende Konsequenzen haben. Insbesondere, dass man dann eben in den illegalen Bereich ausweicht und man hat das ja gesehen in den USA, in den Zeiten der Prohibition.
00:12:23:17 - 00:12:51:09
Stephan Schlegel
Das hat ja. Also das ist ja nicht weniger Alkohol getrunken worden, sondern der Alkoholkonsum ist eben schluss… Also das ist schon weniger getrunken worden, aber es hat sich nicht auf Null reduziert. Man ist einfach in den Untergrund gegangen, in irgendwelche Flüsterbeizen, wo man dann eben dort den entsprechenden Alkohol beziehen konnte. Also man hat nicht eine kulturelle Änderung herbeigeführt und wo am Ende die Prohibition aufgehoben wurde, das ist halt das erste gewesen.
00:12:51:09 - 00:12:56:10
Stephan Schlegel
Die Leute sind losgerannt und haben sich erst mal was Alkoholisches zu trinken geholt.
00:12:56:12 - 00:13:08:00
Catherine Weyer
Das Betäubungsmittelgesetz, das setzt ja nicht allein auf Kontrolle und Repression, sondern es geht dabei unter anderem auch um Prävention. Wie ist dieses Gesetz und wie sind diese Säulen des Gesetzes entstanden?
00:13:08:02 - 00:13:34:08
Stephan Schlegel
Grundsätzlich ist das Betäubungsmittelgesetz, das ist vielleicht muss man erstmal sagen, es ist kein Strafgesetz, das Strafrecht, das ist nur ein Anhängsel. Prinzipiell ist das Ziel des Betäubungsmittelgesetzes Stoffkontrolle. Man will den Umgang mit den Stoffen reglementieren und ein Element dieser Reglementierung ist eben das Strafgesetz, indem man eben darauf hofft, indem man Strafandrohung macht, dass sich die Leute daran halten, an die Regelungen, die dort aufgestellt worden sind, in dem Gesetz.
00:13:34:09 - 00:14:14:01
Stephan Schlegel
Das ist mal das erste, es ist Repression. Und man hat natürlich gemerkt, Repression alleine funktioniert nicht, man muss auch was tun. Man muss also möglichst verhindern, dass die Leute ihre Gesundheit schädigen, indem sie die Substanzen konsumieren. Und das Ziel ist dort, das ist schon ein sehr altes Ziel gewesen, eben diese Abstinenz. Und man hat irgendwann mal gemerkt, also mit Repression oder die Leute sozusagen auf Entzug zu setzen, das bringt alleine nichts, man muss sie auch überzeugen und hat dann eben noch das Konzept der Prävention eingeführt, indem man irgendwie Aufklärungsarbeit gemacht hat.
00:14:14:01 - 00:14:41:10
Stephan Schlegel
Das sind schon alles relativ alte Konzepte, die sind schon so ungefähr 100 Jahre oder so alt und irgendwann hat man mal gemerkt, wo dann diese grossen Drogenszenen entstanden sind in der Schweiz. Also insbesondere der Platzspitz in Zürich, was ja wirklich eine der grössten oder die grösste Drogenszene in Europa gewesen ist: Wir kommen nicht weiter, wir können die Leute bestrafen, wir können versuchen, mit denen zu reden.
00:14:41:10 - 00:15:11:10
Stephan Schlegel
Wir können versuchen, die in die Therapien zu bringen und von den Drogen wegzubringen. Bei bestimmten Personen funktioniert das nicht und wir kriegen dieses soziale Elend, was dort da ist, das bekommen wir so nicht in den Griff. Wir müssen schauen, ob man die Leute sozusagen trotz Drogenkonsum irgendwie gesellschaftlich zum Funktionieren bringen kann. Und dort ist man dann auf die Idee gekommen und hat gesagt okay, wenn wir sie nicht wegkriegen von den Drogen, dann betreiben wir Schadensminderung.
00:15:11:10 - 00:15:48:21
Stephan Schlegel
Wir sorgen dafür, dass der Drogenkonsum um möglichst wenig Schaden verursacht. Und eines dieser Konzepte ist dann gewesen, dass man zum Beispiel Heroin abgegeben hat, was man also unter medizinischen Bedingungen produziert hat. Und das sorgte dann dafür, dass die Leute zum Beispiel diesen Beschaffungsdruck nicht mehr hatten, keine Straftaten begehen mussten, um an Geld heranzukommen. Dass der Konsum unter medizinisch einwandfreien Bedingungen stattfand und wo man das eben erreicht hat, dann konnte man den Leuten auch weiterhelfen, konnte eine Wohnung besorgen, konnte eine Arbeit besorgen usw.
00:15:49:00 - 00:16:32:08
Stephan Schlegel
Das ist das Konzept der Schadensminderung gewesen und das ist eine Besonderheit des schweizerischen Betäubungsmittelrechtes und eine sehr, sehr erfolgreiche Säule. Das muss man, muss man wirklich sagen. Also diese offenen Drogenszenen sind in der Schweiz verschwunden. Also wenn sie zum Beispiel in Deutschland, in Hamburg oder so am Bahnhof gehen, da sitzen dann eben wirklich die Drogenkonsumenten rum. Das finden Sie in Basel oder in Zürich nicht so offen, wie man das eben in anderen Städten hat, weil es eben am Ende diese Schadensminderung gibt, wo man eben an den entsprechenden Stoff herankommt und wo man dann eben auch durch die entsprechenden Institutionen dann auch weitergehende Unterstützung erfährt.
00:16:32:10 - 00:16:43:21
Catherine Weyer
Wie schwierig war es, diese Säulen zu institutionalisieren? Ich kann mir vorstellen, dass nicht gerade jeder wahnsinnig begeistert war von der Idee, dass jetzt illegale Drogen legal abgegeben werden.
00:16:43:23 - 00:17:12:21
Stephan Schlegel
Ja, das ist eben diese Diskussion gewesen. Die hat es natürlich auch in der Schweiz gegeben, dass es einfach so eine allgemeine Einstellung sozusagen ich nenne das mal das alte Konzept gegeben hat, dass man überlegt hat: Ja, wir müssen die Leute zur Abstinenz zwingen, wir müssen sie weg davon bringen, Betäubungsmittel zu konsumieren. Und das ist der einzige Weg. Und diese Einstellung, die gab es natürlich auch hier in der Schweiz.
00:17:12:23 - 00:17:37:10
Stephan Schlegel
Man hat dann irgendwann mal in Zürich in den Anfang der 90er Jahre erkannt okay, also so, so funktioniert das nicht, so geht das, geht das einfach nicht, nicht weiter das. Das kann man so nicht umsetzen. Man ist dann an den an den Bundesrat gelangt. Das ist schwierig gewesen. Es war halt immer noch dieses Denken: Wir müssen repressiv vorgehen, wir müssen die Leute zur Abstinenz bringen.
00:17:37:12 - 00:18:08:11
Stephan Schlegel
Und dann kommen neue. Bundesrätin Ruth Dreifuss. Und die hat sich dann eben 1993 dafür dann eingesetzt, dass es Heroinabgabe eben zur Schadensminderung geben soll. Dass das möglich sein soll und das ist dann eben am Ende auch so umgesetzt worden. Also man hat gerade in Zürich und hat dieses dieses Elend dort am Platzspitz gesehen, wo die Leute wirklich auf gut Deutsch einfach in ihrem eigenen Dreck gelegen haben und dann sind natürlich auch die entsprechenden Krankheiten verbreitet gewesen.
00:18:08:13 - 00:18:46:20
Stephan Schlegel
Wir haben HIV gehabt, wir haben andere Erkrankungen gehabt, die Leute sind einfach, man kann sagen ja gestorben wie die Fliegen. Und es hat nicht geholfen. Man hatte den Platzspitz auch geschlossen gehabt, die Leute sind ja dadurch nicht weggewesen. Man hat sie in ihre eigenen Gemeinden geschickt. Aber was will denn eine Gemeinde im Emmental mit einem Drogenabhängigen? Der ist relativ schnell wieder weg und und hockt dann wieder irgendwo in einer Grossstadt, wo er sein Umfeld hat und manhat gemerkt, das hat nicht funktioniert und man hat dann eben dieses Konzept aufgegleist und das hat sich dann wirklich, wirklich bewährt gehabt.
00:18:46:20 - 00:18:53:10
Stephan Schlegel
Also in den 90er Jahren sind dann eben diese offenen Drogenszenen dann auch auch verschwunden.
00:18:53:12 - 00:19:09:24
Catherine Weyer
Die Stimmen, die von der eher rechten politischen Seite laut werden, dass es beispielsweise in Basel wieder eine offene Drogenszene gibt und dass man hier wieder repressiver werden muss. Glauben Sie, das ist einfach ein politisches Geklüngel, aber hat keine Legitimation?
00:19:10:01 - 00:19:31:02
Stephan Schlegel
Es ist natürlich schon denkbar, und das wird es wahrscheinlich auch in Zürich an bestimmten Orten geben, dass es da eine gewisse Drogenszene gibt. Aber sie ist sicher nicht. Mir ist nicht bekannt, dass es so extrem und offen ist wie das Anfang der 1990er Jahre gewesen ist. Und das Problem ist oder das ist ja eigentlich die Lehre, die man daraus damals gezogen hat: Repression hilft nicht.
00:19:31:02 - 00:19:59:02
Stephan Schlegel
Die Menschen, die verschwinden nicht, die sind da, die Konsumierenden und die wollen ihren Stoff haben. Und wenn man sie eben in die Illegalität drängt und sie verdrängt, dann organisiert man eben genau das Problem, was man eben eigentlich nicht haben will. Das heisst, wir haben eine Beschaffungskriminalität zum Beispiel, also irgendwelche Diebstähle, irgendwelche Einbrüche. Und man erreicht natürlich auch die Personen für eine Gesundheitsversorgung oder für eine soziale Betreuung nicht.
00:19:59:04 - 00:20:29:07
Stephan Schlegel
Das heisst also, man organisiert, das ist meine Meinung, durch solche repressiven Massnahmen organisiert man eigentlich nur eine soziale Verelendung. Und es ist eben besser, mit den Leuten zu reden, ihnen ihren Stoff zu geben und sie dadurch in Kontakt zu ihnen zu haben und ihnen dann wirklich auch sozial helfen zu können. Und man muss wirklich sagen, also Heroin ist eine Substanz, wenn sie rein verabreicht wird und in den entsprechenden Mengen auch konsumiert wird.
00:20:29:09 - 00:20:59:13
Stephan Schlegel
Dass man nicht daran stirbt, ist eine Substanz, die nicht unbedingt lebensverkürzend wirkt. Ja, also das heisst also, man kann Heroinkonsument sein und trotzdem eine Lebensdauer erreichen, die der von Menschen entspricht, die diese Substanz nicht konsumieren. Und da muss man doch einfach sagen: Ja, dann gebe ich ihnen doch einfach ihren Stoff. Und wenn sie dann funktionieren können, wenn sie dann irgendwie eine Arbeit aufnehmen können, sich um ihre Kinder kümmern können oder was auch immer eine Wohnung haben, dann ist es doch gut.
00:20:59:13 - 00:21:12:14
Stephan Schlegel
Das ist doch eigentlich das, was am Ende die Gesellschaft erreichen will und nicht einfach dass jemand irgendwo unter oder unter der Brücke lebt, weil er eben einfach kein Geld hat und alles Geld für den Stoff investiert.
00:21:12:16 - 00:21:17:14
Catherine Weyer
Aber den Schritt hin, dass man alle Drogen legalisiert, der wäre dann zu gross.
00:21:17:16 - 00:21:47:07
Stephan Schlegel
Ja, also ich will jetzt nicht unterstellen, dass das Betäubungsmittelgesetz einfach so per se ein falsches Konzept ist. Also ich glaube, man muss solche Stoffe auch reglementieren, weil von ihnen natürlich auch eine gewisse Gefahr ausgeht. Also es ist ungesund, bestimmte Substanzen zu konsumieren, man kann daran sterben, es hat Einfluss auch auf die Körperfunktionen. Also wenn Sie Kokain zum Beispiel haben, das zerstört in zum Beispiel die Schleimhaut in der Nase.
00:21:47:09 - 00:22:14:03
Stephan Schlegel
Es verändern sich auch das gesamte Verhalten von den entsprechenden Personen. Also es verursacht Schäden und vor allen Dingen, das ist, glaube ich, auch eines der Hauptgründe, warum man bestimmte Substanzen kriminalisiert: Es hat Auswirkungen auch auf die Gesellschaft selber, auch auf das soziale Leben der Personen. Und da hat der Staat natürlich auch eine Schutzpflicht gegenüber den Personen, die eben nicht konsumieren und deswegen muss man das regulieren.
00:22:14:04 - 00:22:42:07
Stephan Schlegel
Die Frage ist einfach nur, wie? Muss man das eben mit einer harten Repression machen? Oder muss man eben als einfach mit Normen, mit einer Steuerung des Substanzen Konsums machen? Und man darf ja nicht vergessen, also ein Teil der Betäubungsmittel, die im Betäubungsmittelgesetz erfasst sind, sind Substanzen, die eine medizinische Wirkung haben, also zum Beispiel Ritalin ist ein Betäubungsmittel, das untersteht dem Betäubungsmittelgesetz.
00:22:42:09 - 00:23:10:00
Stephan Schlegel
Aber man wird jetzt sicherlich nicht bestreiten, dass diese Substanz auch medizinisch eine positive Wirkung haben kann, oder wir können zum Beispiel auf viele Opiate in der Schmerzbehandlung überhaupt nicht verzichten. Das heisst, wir brauchen eine Regulierung, wir müssen die Betäubungsmittel nutzbar halten für die Medizin. Wir müssen schauen, dass die Schäden durch eine starke Repression nicht so hoch sind.
00:23:10:02 - 00:23:41:09
Stephan Schlegel
Aber wir müssen gleichzeitig halt vielleicht auch schauen, ob man das Ganze irgendwo in solche Bahnen lenken kann, wo sozusagen die sozialen Folgekosten zum Beispiel für die Repression nicht zu hoch werden. Und deswegen kann man schon überlegen, ob man bestimmte Substanzen weniger stark kontrolliert, sie teilweise legalisiert. Also Cannabis ist ja dann ein schönes Beispiel, wo es gerade solche Pilotprojekte stattfinden, wo man einfach an Konsumierende Cannabis abgibt.
00:23:41:09 - 00:24:00:19
Stephan Schlegel
Die können es ganz normal konsumieren zum Freizeitkonsum und man schaut dann am Ende, wie entwickelt sich die ganze Sache und vielleicht gibt es irgendwann mal einfach Cannabis irgendwo zu kaufen. Vielleicht jetzt nicht unbedingt beim Coop an der Kasse, aber vielleicht in speziellen Läden und auch mit dem entsprechenden Jugendschutz.
00:24:00:21 - 00:24:04:07
Catherine Weyer
Wie stehen Sie zur Diskussion um die Legalisierung von Cannabis?
00:24:04:09 - 00:24:28:05
Stephan Schlegel
Also ich bin durchaus dafür, dass man eben auch die Abgabe von Cannabis zum Freizeitkonsum legalisieren sollte. Es gibt eben eine Menge Fragen, die man eben klären muss: Wie ist es zum Beispiel mit dem Jugendschutz? Es hilft da einfach nichts, wenn die Schülerinnen und Schüler einfach in der Schule bekifft dann dasitzen, einfach nichts, nichts mehr lernen. Das ist zum Beispiel ein Problem.
00:24:28:05 - 00:24:50:03
Stephan Schlegel
Wir müssen eine Lösung dafür finden, wie es Cannabis vor allen Dingen im Strassenverkehr:
Wir haben ja jetzt so eine Nulltoleranzpolitik, Das heisst, dass schon minimalste Substanzen, die ja überhaupt nicht wirksam sind, reichen einfach aus, um jemanden Führerausweis wegzunehmen. Also das macht keinen Sinn. Wenn ich aber mit 0,5 Promille Blutalkohol Autofahren kann. Also da tut man Lösung finden müssen.
00:24:50:09 - 00:25:03:22
Stephan Schlegel
Aber wenn man das findet eine vernünftige Regulierung hat und den wirklich die negativen Folgen im Griff behält, dann bin ich dafür, dass man eben diese Substanz auch kontrolliert abgibt.
00:25:03:24 - 00:25:17:05
Catherine Weyer
Und finden Sie, dass die legalen Drogen, also Alkohol und Tabak, dass die genügend reguliert sind? Oder wäre es da auch angebracht, dass man vielleicht mal überdenkt, beispielsweise den Jugendschutz anzupassen?
00:25:17:07 - 00:25:51:11
Stephan Schlegel
Es ist eine schwierige Frage. Also wir haben ja gemerkt, dass je mehr man versucht, eine Substanz zu regulieren, je mehr man Druck auf den Konsum ausübt und vor allem, wenn das gesellschaftlich tief verankert ist, umso grösser ist am Ende der Widerstand und umso mehr erzeugt man eben Verhaltensweisen, die eben in das Illegale gehen. Man steigert sozusagen die Kriminalität und unterstützt dann halt natürlich auch entsprechende Organisationen oder Personen, die sich dann eben in diesem Bereich bewegen.
00:25:51:13 - 00:26:17:21
Stephan Schlegel
Man hat ja in den USA dieses Experiment gemacht mit der Prohibition und man ist grandios gescheitert. Das muss man wirklich sagen. Klar hat es eine Reduktion des Alkoholkonsums gegeben. Es hat auch durchaus sicherlich positive Effekte, auch auf die Familien gehabt. Also wenn dann einfach der Ehemann weniger besoffen seine Frau geschlagen hat, dann ist das sicherlich unter Umständen ein Erfolg gewesen.
00:26:17:21 - 00:26:44:07
Stephan Schlegel
Aber man hat gleichzeitig eben auch die organisierte Kriminalität gezüchtet mit der Prohibition und dann steckt man einfach einen Haufen Geld in den Repressionsapparat und hat all diese Probleme. Auch Gewaltdelikte, die damit zu tun haben, die man ohne die Prohibition am Ende nicht gehabt hätte. Und deswegen … Man kann sicherlich überlegen, ob man vielleicht im Alkoholbereich zum Beispiel in die Prävention mehr Arbeit investiert.
00:26:44:07 - 00:27:07:17
Stephan Schlegel
Also wir haben ja jetzt scheinbar das Beispiel in Irland, wo entsprechende Hinweise auf den Alkoholflaschen aufgedruckt werden sollen, entsprechend dem, was wir jetzt auf Zigarettenpackungen haben. Das kann möglicherweise einen positiven Effekt haben, aber ich glaube, also, nur mit Repression und ohne stärkere Kontrolle wird man das Problem nicht lösen. Oder wer zum Beispiel mal mit Schweden zu tun hat.
00:27:07:17 - 00:27:40:16
Stephan Schlegel
Also was machen die, wenn die nach Resteuropa kommen? Also daheim können sie ihren Alkohol nur sehr teuer und in speziellen Läden kaufen. Und wenn sie irgendwo anders hinkommen, dann ist das erste: Sie hauen sich einfach die Birne weg und saufen bis es kein Ende mehr hat. Und da sieht man daran. Das Konzept funktioniert einfach nicht. Und dann finde ich es eben besser, sozusagen den Leuten den Umgang mit diesen Substanzen beizubringen, eine gewisse Kontrolle zu erhalten, auch präventiv wirksam zu werden.
00:27:40:18 - 00:27:48:16
Stephan Schlegel
Aber zu schauen, dass man mit möglichst wenig Repression und wenig Kontrolle wenig sozialen Schaden anrichtet.
00:27:48:18 - 00:27:50:08
Catherine Weyer
Herr Schlegel, vielen herzlichen Dank!
00:27:50:10 - 00:27:52:15
Stephan Schlegel
Vielen Dank!
00:27:52:17 - 00:28:23:06
Catherine Weyer
Das war Unisonar, der Wissens-Podcast der Universität Basel. Wir freuen uns über Ihr Feedback auf podcast@unibas.ch oder auf unseren Social Media Kanälen. Dies ist das Ende der dritten Staffel. Sind Sie an weiterer Forschung der Universität Basel interessiert? In der zweiten Staffel sprachen wir mit einer Genderforscherin, einem Soziologen, einem Bildungswissenschaftler und einem Strafrechtsexperten über Gerechtigkeit. Neue Folgen zu einem neuen Thema gibt es im März 2024.
00:28:23:08 - 00:28:25:20
Catherine Weyer
Hier und überall, wo es Podcasts gibt.