Wie erleben trans Menschen ihren Weg der geschlechtlichen Selbstfindung – und welche Rolle spielt die Medizin dabei? Dr. David Garcia Nuñez, Leiter des Innovationsfokus Geschlechtervarianz am Universitätsspital Basel, spricht im Podcast über medizinische Begleitung, gesellschaftliche Herausforderungen und persönliche Geschichten von Transpersonen.
Es gibt wahrscheinlich neben dem der Sportwelt keine andere Welt wie die Medizin, die so binär verankert ist strukturell.
Trans ist kein Verbrechen, trans ist auch nicht ein Fehler oder eine Laune der Natur, sondern es ist eine Diversität. Es ist also so, wie manche dick sind und die andere dünn, gross, klein und 0,5 %, eine*r von 200 ist eben nicht cis, sondern trans.
Wir leben ja nicht in einer Welt, wo den Eltern gesagt wird: Ja, Sie haben ein Kind mit einem Penis auf die Welt gebracht. Schauen Sie, was das im Verlauf vom Leben für ein Geschlecht entwickelt. Es wird den Eltern gesagt: Penis gleich, Junge, Vulva gleich Mädchen.
Hallo und herzlich Willkommen bei Unisonar, dem Wissenspodcast der Universität Basel. In dieser Staffel schauen wir uns mit Expert*innen sechs Forschungsfelder an, die sich mit dem Thema Gender befassen. Was macht für euch eine Frau aus? Ihr Aussehen, ihr Verhalten, ihre Fähigkeit, Kinder zu bekommen? Und habt ihr euch schon mal gefragt, warum wir Menschen oft in zwei Geschlechter einteilen? Mein heutiger Gast arbeitet täglich mit Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Was bedeutet das für Sie? Wie kann man sie unterstützen? Und braucht es immer eine Geschlechtsangleichung, Eine Operation, damit Sie sich wohlfühlen? Darüber spreche ich mit David Garcia Nuñez. Er ist Leiter des Innovationsfokus Geschlechtervarianz am Universitätsspital Basel und Lehrbeauftragter an der Universität Basel. Herr Garcia Nuñez, herzlich willkommen!
Vielen Dank für die Einladung.
Mein Name ist Catherine Weyer. Bei Unisonar tauchen wir mit Expert*innen der Universität Basel auf den Grund ihrer wissenschaftlichen Forschung. Herr Garcia Nuñez, diese Diskrepanz zwischen dem Geschlecht, das uns bei der Geburt zugeteilt wird, und dem, wie wir uns selbst identifizieren. Woher kommt das?
Das ist eine gute Frage, und das ist eine, die bisher nicht wissenschaftlich beantwortet werden konnte. Wir haben keine Daten dafür oder keine gängige Hypothese, weshalb man manche Menschen eine Geschlechtsinkongruenz entwickeln und weshalb andere das nicht tun. Das, was wir wissen ist aber, dass etwa 5 % der Bevölkerung. Also wenn wir jetzt auf die Strasse gehen und die fragen würden: Sind Sie zufrieden mit Ihrem Geschlecht, das etwa 5 % der Bevölkerung diese Frage mit Nein beantworten.
Das ist natürlich eine sehr, eine sehr grosse Frage. Und wenn man dann aber eine zweite Frage nachschiebt und fragt: Ja, tun Sie etwas dagegen, machen Sie etwas dagegen, mit dieser Unzufriedenheit, dann sagen 0,5 % der Bevölkerung Ja, ich brauche eine Transition.
Das sind die Menschen, die dann zu ihnen ans Unispital kommen. Wie sieht der Weg aus, den diese Menschen gehen, wenn sie sich unwohl fühlen mit ihrem zugeteilten Geschlecht?
Die Personen, die zu uns kommen, die haben schon einen sehr langen Weg hinter sich. Also dieser ganze Prozess der Selbsterkenntnis, das ist das, was wir in Inting nennen. Das ist das Coming out für sich selbst, also gegen innen und das Coming out gegen aussen. Das haben die meisten schon hinter sich. Und die kommen zu uns, weil sie sich eine medizinische Behandlung wünschen bzw die medizinische Transition beginnen wollen.
Eine Transition kann soziale Aspekte haben. Also das kann sein, dass man die Geschlechtsrolle gegen aussen zum Beispiel ändert. Die Kleidung, wie man spricht, die Frisur, was auch immer. Es kann auch juristische Aspekte haben, also dass man die Papiere ändert und das kann auch medizinische Aspekte haben. Und wenn die Menschen zu uns kommen, machen wir uns zuerst ein Gesamtbild über die Situation, wo diese Person steckt, Wo drückt der Schuh?
Das ist jeweils unser Satz. Wir versuchen zu eruieren sind die Spannungen beispielsweise zwischen mir, zwischen dem Körperlichen und Psychischen oder zwischen dem Psychischen und dem Sozialen oder zwischen dem Sozialen und dem Körperlichen? Irgendwo in diesem Dreieck befinden sich alle Personen. Und je nachdem, wo, ja wo die grösste Inkongruenz da ist, wo die meisten Symptome da sind.
Dementsprechend schlagen wir etwas vor und das heisst, dass nicht alle Menschen, die wir beraten, letztendlich dann eine hormonelle Behandlung wollen und oder wünschen. Oder dass nicht alle Menschen dann eine Operation machen. Sondern wir legen zuerst Wert darauf, dass die, das die Begleitung und die Therapie selbstverständlich sehr individuell ist.
Ich nehme an, das ist ja auch nicht so, dass diese Person einmal zu ihnen kommt und dann entscheidet man sich, es wird eine Geschlechtsangleichung Operation geben. Wie lange dauert dieser Prozess?
Wenn Sie sich heute anmelden, dann geht es so 6 bis 9 Monate, bis Sie überhaupt zum Erstgespräch eingeladen werden. Also es vergeht schon eine ganz lange Zeit ausserhalb vom Spital. Das ist nicht zu unterschätzen, auch in Bezug auf den Leidensweg. Aufgrund dieser Wartezeiten ist es beispielsweise so, dass wir im Durchschnitt einmal pro Jahr jemanden verlieren.
Also das heisst, dass die Person sich suizidiert während dieser Zeit. Und wenn sie zu uns kommen, dann geht wie gesagt, dieser Kennenlernprozess startet der und der kann mehrere Stunden gehen. Also so von drei Termine, die sind dann im Verlauf von was weiss ich eineinhalb Monate beispielsweise bis manchmal sind diese kennengelernt Termine zehn Stunden da dauert zehn Stunden weil die die die Biografie dieser Person so komplex ist bzw die die die Analyse von von dieser geschlechtlichen Kongruenz so komplex ist und anhand von von.
Von diesem Kennenlernprozess findet dann am Schluss die sogenannte Round Table Sitzung statt. Also das heisst, das ist ein Moment, wo wir unsere Analyse präsentieren und sagen, wir würden das oder dieses vorschlagen und die Person sich das anhört und entscheiden kann Ja, stimmt das für mich? Kann ich mich mit dieser Behandlung, mit dieser Empfehlung irgendwie einverstanden geben oder sehe ich das anders?
Und als Resultat von dieser Sitzung entsteht dann ein Behandlungsplan, der für beide Seiten sozusagen wie verbindlich ist. Und dann ab dann begleiten wir die Person in der Regel einmal pro Monat und wir schauen dann bei diesen monatlichen Sitzungen. Ja, stimmt der Plan nach wie vor Und sind die Interventionen, die wir jetzt eingeleitet haben, sei das jetzt eine Dermatologie Intervention zum Beispiel eine Barthaarepilation oder seien es die Hormone, Das heisst, die Operation.
Geht es in die richtige Richtung oder sagt die Person Nein, ich habe das jetzt ausprobiert und ich merke, dass das nicht einen grossen Einfluss auf auf die Inkongruenz hat.
Also es gibt auch immer wieder Ausstiegspunkte für die Person, auf dem Weg.
Ja, also es wird in jeder Sitzung wird darüber reflektiert. Ist das, was wir da machen, macht das Sinn oder nicht? Also es ist an und für sich ein sehr normaler, unauffälliger Vorgang, wie das in der Medizin immer stattfindet.
Sie haben gesagt, man wartet 6 bis 9 Monate, um überhaupt einmal einen Termin bei Ihnen zu haben. Ich nehme an, das liegt daran, dass es so eine grosse Nachfrage gibt.
Ich würde mehr sagen, es liegt daran, dass strukturell die Ärztinnen und Ärzte, Psychologinnen, Psychologinnen nicht in dieser Thematik geschult werden. Alle sprechen vom Fachkräftemangel? Aber das ist in diesem Bereich hyperakut, weil im Studium beispielsweise jetzt an der Universität Basel das Medizinstudium mit sechs Jahren und die Studierenden hören den ganzen zwei Stunden etwas über Geschlechtervarianz in diesen sechs Jahren.
Das ist extrem wenig. Und die finden das dann interessant. Und eine andere Sicht, Geschlecht anzuschauen. Nicht nur dieses biologistische Modell, das sie ansonsten von der Mainstreammedizin kennen. Aber ausser damit haben Sie natürlich noch keine Spezialisten oder Spezialisten ausgebildet und das ist eine eine Mangellage und die seit eh und je besteht und die wie gesagt nicht folgenlos bleibt für manche Menschen.
Wie viele Patient*innen können Sie in einem Jahr behandeln? Oder wie viele Personen werden in einem Jahr bei ihnen vorstellig?
Unser Zentrum hat eine Kapazität, so für ungefähr 150 Personen, und die ist völlig ausgeschöpft und deshalb gibt es diese Warteliste. Aber es gibt auch andere Zentren. Gibt es die die Psychiatrie Baselland? Es gibt Zürich, wie gesagt, Bern. Und dann gibt es aber solche Personen, die irgendwo anders ihren Prozess begonnen haben und nach Basel kommen, weil sie sagen, ich möchte eine Operation haben, und ich möchte die Hormonbehandlungen am Universitätsspital in Basel machen, und das sind so zirka nochmals 150 pro Jahr.
Also das heisst, 150 in unserem Programm, die wir sozusagen von A bis Z begleiten, plus 150 Operationen, diestattfinden, die aber von irgendwo, irgendwo anders betreut werden.
Ich durfte im Vorfeld zu diesem Gespräch mit zwei von ihren Patient*innen sprechen. Eine von ihnen ist Chloé, eine Transfrau. Sie ist 23 Jahre alt und zum Zeitpunkt, als ich mit ihr gesprochen habe, lag die komplette Transition ein Jahr zurück. Wir hören jetzt von Chloé etwas von ihrem Weg.
Einspieler Chloé
Das erste Mal, was ich mich erinnern kann, dass ich anders war als andere und mich auch anders gefühlt habe, war in der Primarschule da, fing das Ganze an mit Mädchen und Jungs. Und da wollte ich immer mit meinen Tischnachbarin abmachen und zu Hause spielen. Aber dann haben viele andere gesagt: Ja, wir dürfen nicht mit Mädchen spielen.
Einspieler Chloé
Ich habe dann wie einfach eine Maske aufgebaut und mich versteckt, was ich erst später gar nicht gemerkt habe, dass ich da mich einfach gar nicht wohlgefühlt habe und einfach ja eine komplett andere Identität angenommen habe, nur um nicht alleine sein zu müssen. Wenn ich wusste: Ah, meine Eltern sind aus dem Haus draussen und ich bin allein zu Hause für mehrere Stunden, dann habe ich einfach mich als Frau gekleidet und einfach so Videospiele geschaut oder meine Nägel lackiert oder habe einfach mich mich gefühlt.
Einspieler Chloé
Aber ich war halt immer noch viel zu ängstlich, das jemandem zu sagen.
Ist das so ein typisches Beispiel von jemanden, dass sie es schon relativ früh merkt, dass sie sich irgendwie nicht wohlfühlt mit diesem Geschlecht, das sie, das sie bei der Geburt bekommen hat und das dann lange einfach privat viel mit sich selbst ausmacht.
Das ist, würde ich sagen, der Normalfall, den wir immer wieder hören. Dass trans Menschen, die zu uns kommen, sagen: Ich habe das schon sehr früh gespürt, gemerkt, gewusst, dass ich anders als die anderen bin. Und zugunsten von Beziehungsstabilität, von von Liebe seitens der Eltern, von Freundschaften habe ich mich versteckt. Das ist das, was Chloé sagt.
Und wichtig dünkt mich jetzt aber auch an der Stelle, dass das, was sie schildert oder sie wird in der Schule mit einer strukturellen Geschlechtersegregation konfrontiert, wie wir alle eigentlich in unserem Schulsystem. Und äh, und merkt anhand von dieser Situation, dass sie unter Stress kommt. Also die Geschlechtskonkurrenz meldet sich in diesem Moment dann radikal und plötzlich. Aber diese Geschlechtsinkongruenzen macht Chloé nicht zur Frau.
Chloé war schon ein Mädchen und kommt deswegen in Stress, weil das System von ihr fordert, dass sie sich gemäss ihrem Körper einordnet. Aber da gibt es schon bereits eine Psyche, eine Identität, die da ist und sagt Das ist eigentlich für mich nicht stimmig. Und das, was dann passiert, ist, dass das Chloé sozusagen ein Doppelleben aufbaut. Also ich nehme jetzt Royals als Beispiel, aber das ist wie gesagt für sehr viele Menschen so und baut so wie ein Schutzraum, wo sie sein kann.
Zuhause in Galaxien, Mädchenkleider, Anziehen von Mama. Und das muss man sich vorstellen. Also das ist in der Primarschule also schon die reine organisatorische Kraft, die man da haben muss. Wann sind meine Eltern weg, wann kommen die wie muss ich mich anziehen, Wie muss ich meine Finger lackieren und wieder dann sauber kriegen, damit niemand da etwas mitbekommt? Also das ist dieser Schutzraum, der Chloé für sich aufgebaut hat im Bereich der Kindheit und gegen diese Schutzraum wirkt aber gegen aussen wie blau angemalt, damit das niemand merkt, was da eigentlich im Innern stattfindet.
Sie hat mir dann erzählt, dass sie den 18. Geburtstag gewählt hat, um sich zu outen. Gegenüber einigen Freund*innen. Ist das auch typisch so 18, dass so eine Grenze markiert?
Äh, nein, das ist sehr unterschiedlich. Das ist typisch, ist höchstwahrscheinlich, dass man das zuerst mit den Freundinnen bespricht, also mit den Peers bespricht, weil die irgendwie die, die die gleiche Sprache und ähnliche Vorstellungen haben von Geschlecht und beim Generationensprung zu den Eltern muss man dann vielleicht gewisse Begriffe schon bereit erklären, die für die Freundinnen selbstverständlich sind. Aber ich, ich, wir kennen Fälle, die die haben das schon mit zwölf, 13 gesagt und die Reaktionen vom Umfeld sind diesbezüglich zum Teil auch ausserordentlich wichtig.
Sehr häufig kommt dann der Satz: Das ist nur eine Phase.
Sehr gerne von den Eltern. Dann wird dieser Satz ausgesprochen oder dieser Satz. Das kenne ich auch, das hatte ich auch schon. Das ist nicht so schlimm, das geht vorbei. Also geht ein bisschen auch in diese, in diese Richtung hinein. Und es kann dazu führen, dass die Menschen manchmal auch den Mut verlieren, dann darüber zu sprechen, wenn das Coming out so schlecht abläuft.
Ich verstehe die Eltern bis zum einen gewissen Grad, aber auch das ist ein Teil der Pubertät, oder? Und die Eltern haben sehr häufig das Gefühl, ich kenne mein Kind am besten und mein Kind ist sozusagen wie ein verlängerter Arm von mir selbst. Ich war auch so und während der Pubertät müssen die Eltern lernen, dass Kinder eben nicht verlängerte Arme sind, sondern ein Eigenleben haben.
In dem Moment, wo es dann um die Identität geht, wird das insofern prekär, da die Identität des Kindes automatisch auch mit der Identität der Eltern zusammenhängt. Wir leben ja nicht in einer Welt, wo den Eltern gesagt wird: Ja, Sie haben ein Kind mit einem Penis auf die Welt gebracht. Schauen Sie, was das im Verlauf vom Leben für ein Geschlecht entwickelt, sondern es wird den Eltern gesagt Penis gleich, Junge, Vulva gleich Mädchen.
Also die Interfälle lasse ich jetzt mal auf die auf die Seite. Das heisst, wenn ein Kind, wenn eine jugendliche Person ein Kind oder eine jugendliche Person sagt: Ich bin nicht damit einverstanden, dass du mich so nennst und dieser Vorname, den du mir jetzt gegeben hast, Tom, der passt nicht zu mir, dann bedeutet das für die Eltern automatisch: Ich habe etwas Falsches gemacht.
Also das ist, da tauchen bei den Eltern sofort Schuldgedanken auf und nach der Schuld- kommen dann die Schamgefühle. Was werden jetzt meine Nachbarinnen sagen? Das wird meine Mutter sagen. Was wird die Welt sagen über mich? Was? Was bin ich für ein schlechter Vater? Das, der das nicht fertig bringt, sozusagen ein Cis-Kind zu zu begleiten. Und das ist auch ein Teil von unserer Begleitung.
Also wir arbeiten sehr häufig mit dem System zusammen, sei es mit Eltern, sei es mit Geschwistern, sei es auch mit Lebenspartner, Lebenspartnerin oder manchmal auch mit den Kindern von den Transmenschen. Wenn sie, wenn sie in einem, wenn sie älter zu uns kommen und ein Teil von unserer Botschaft ist: Trans ist kein Verbrechen. Trans ist auch auch nicht ein Fehler oder eine Laune der Natur, sondern es ist eine Diversität.
Das ist also so, wie manche dick sind und die andere dünn, gross, klein, dunkelhaarig, blond, wirft uns das Leben irgendwo an einem Ort und einem 0,5 %. 1 von 200 ist eben nicht cis, sondern trans. Und dann schaut irgendwie Transpersonen ständig einzureden. Du bist falsch und wir müssen dich korrigieren, damit du wieder reinpasst, ist es und das zeigen die Daten und auch die klinische Erfahrung mit der trans Bevölkerung ist es viel, viel besser und erfolgreicher, wenn wir und Du auch sozusagen lernst, deine Diversität zu akzeptieren und dich auf den Weg machst, mit diesem Geschlechtersystem, das wir jetzt in Westeuropa haben, irgendwie umgehen zu können.